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Darf die Wissenschaft alles erforschen? – Lesetext C1

Ein Text von Olga aus Sankt Petersburg, Russland, für die Reihe Deutschlerner aus aller Welt schreiben

Dieser Beitrag ist inspiriert von folgendem Artikel: Heather Murphy, Why Stanford Researchers Tried to Create a ‘Gaydar’ Machine (2017)

Darf die Wissenschaft alles erforschen?

Vor ein paar Jahren wurde ein experimenteller Algorithmus erstellt, der die sexuelle Orientierung eines Menschen anhand der Gesichtsform erkennen kann. Dieses Projekt wurde heiß diskutiert, weil es die Frage aufgeworfen hat, wo eigentlich die Grenzen für wissenschaftliche Freiheit liegen. Welcher Ethik sollte die Wissenschaft folgen?

Das positive an diesem Projekt ist, dass die Künstliche Intelligenz übt, Muster zu erkennen, die für den Menschen nicht sichtbar sind. Dies bedeutet, dass die Maschine tatsächlich lernt, unsere Realität basierend auf den Erkenntnissen, die wir nicht wahrnehmen können, zu deuten, wodurch sie uns letztendlich auch etwas beibringen kann. Für solch ein Projekt spricht auch die Tatsache, dass das Lernen (auch eines Computers) nichts Negatives mit sich bringt. Darüber hinaus wird der wissenschaftlichen Forschung auch immer eine gewisse Freiheit eingeräumt, falsch zu liegen. Ich glaube, so sollte es auch in Zukunft bleiben.

In diesem Fall jedoch üben die Wissenschaftler ihre Macht aus, indem sie einer widerlegten Tradition der Physiognomik folgen. Das Schlimmste dabei ist, dass zuerst Menschen die Möglichkeit hatten, einem Computer etwas beizubringen, denn dann könnte der Algorithmus Macht über Menschen erlangen, unabhängig davon, ob er fehlerhaft konstruiert wurde oder nicht. Die Folgen eines Fehlers lassen auch nicht lange auf sich warten, wenn eine maschinell gefundene Erkenntnis als absolute Wahrheit in Form konkreter Maßnahmen auf die gesamte Gesellschaft übertragen wird. Sogar ein vollkommener Algorithmus könnte sich verrechnen, da er ja zunächst von Menschen mit all ihren Vorurteilen geschaffen wurde.

Aus meiner Sicht wäre es besser, wenn sich die ganze an der Datenanalyse beteiligte wissenschaftliche Community nach einem Ethikkodex richten würde, welcher der Forschung zumindest die groben Grenzen vorgibt. Wenn Wissenschaftler eine Rechtfertigung für den Eingriff in die Privatsphäre erhalten wollen, müssen sie äußerst unabhängig und unvoreingenommen sein, was mir jedoch sehr utopisch erscheint. Das heißt, ich bin für diese Grenze, aber wie man sie bestimmen kann, darüber ist noch lange zu diskutieren.


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