Deutschlerner schreiben
Schreibe einen Kommentar

Tagebuch: Die ersten Tage meines Studiums – von Maria Kulik

Deutschlerner_schreiben_Logo_deutschlernerblog

Tagebuch: Das Leben einer Erstsemestlerin der Angewandten Linguistik

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Der Wecker klingelt. Ich öffne meine Augen. Meine Hand wandert zum Nachtschränkchen und es ist wieder leise. Gedankenversunken bleibe ich im Bett liegen. Das wird ein ungewöhnlicher Tag werden… Der Anfang einer neuen Etappe in meinem Leben. Studium… Zeit des Wissensgewinns und neuer Erfahrungen, Zeit der Selbstständigkeit.

Tagebuch schreiben

Maria vor der Universität in Lublin

Nach einer Weile blicke ich auf die Uhr. Tja, ich muss schon aufstehen. Das Wetter ermuntert zwar nicht gerade dazu, einen Spaziergang zu machen, aber elegant gekleidet gehe ich mutig zur Universität. Obwohl noch ungefähr 15 Minuten Zeit bis zum Beginn bleiben, hat sich schon eine ganze Schar von Menschen vor dem Eingang angesammelt. Schwarz-weiß, weiß-schwarz…, alle sind feierlich gekleidet. Ach, eine geht in rosa! – Ja, die will sich sicherlich von den anderen abheben. In der Menge huschen bekannte Gesichter vorbei…
Endlich fängt die Feier an. Jeder tritt einzeln in den großen Saal ein, nachdem sein Name vorgelesen worden ist. Mit wachsender Ungeduld warte ich darauf, dass ich an die Reihe komme. Plötzlich taucht eine Frau auf und sagt: „Und jetzt Linguistik.” Ich bin voller Emotionen. „Maria Kulik”, höre ich. Ich trete hervor. Leider fehlen Sitzplätze für die Studenten und Studentinnen dieser Fachrichtung. Ich stehe also an der Wand. Die Reden, die Lieder… Als der Rektor seine Hand auf meine Schulter legt, empfinde ich Stolz, dass ich ab diesem Moment Studentin bin.

Nach der Immatrikulation werden die Treffen der einzelnen Studienrichtungen stattfinden. Niemand weiß aber, wohin wir gehen sollen. Ich bemerke, dass ein Mädchen einen Vorlesungsplan hat. Sie sagt mir, dass er im Xero-Punkt ein paar Meter von hier zu bekommen ist. Ich gehe dorthin. Leider stellt sich heraus, dass es keine Pläne für mein Studienfach gibt.

Als ich wieder in den Saal zurückkomme, sind alle verschwunden. Wohin sind sie gegangen? Jemand schickt mich in irgendein Stockwerk. Ich gehe von Tür zu Tür und klopfe an jeder an. Vergeblich! Niemand weiß etwas über das Treffen meiner Fachrichtung. Ich bin verzweifelt. „Ich werde weinen”, denke ich. Dann aber spreche ich ein Mädchen an, das anfängt, Anglistik zu studieren. Ich befolge ihren Rat und lenke meine Schritte zum nächsten Raum.

„Wenn dir diese Frau nicht hilft, dann hilft dir niemand.” sagt der Beamte dort. Ich bin also in guten Händen. Die Frau telefoniert mit jemandem. „Das Treffen der Erstsemestler der Linguistik findet in diesem Moment im Hotel des Fernstudenten statt. Lauf!”, aufgeregt höre ich die Antwort. „Danke schön!”, rufe ich und die Rennerei beginnt. Zum Glück hat das Treffen erst vor Kurzem begonnen. Ich höre den Rednern aufmerksam zu. Ich bin glücklich, dass ich Angewandte Linguistik gewählt habe.

Nach dem Treffen gehe ich mit meinen Kommilitonen zum „Plaza”, das ist ein großes Einkaufszentrum. Dort wird gegessen, viel geredet und noch mehr gelacht. Die Telefonnummern werden ausgetauscht. Die Gespräche und Witze nehmen kein Ende. Ich schwebe auf Wolke sieben, weil ich endlich Gleichgesinnte gefunden habe, die sich auch für Fremdsprachen interessieren!

Zu Hause lese ich dann mit Vergnügen die Broschüre über meine Universität – diese wurden während der Feier an uns verteilt. Ich denke über den zu Ende gehenden Tag nach. Zweifellos war er außerordentlich. Deshalb werde ich ihn nie vergessen. Ich freue mich aufs Studium. Ich hoffe nur, dass ich mich nicht mehr an der Uni verlaufen werde. 🙂

 

Freitag, 16. Oktober 2009

Dieser Tag war voller Überraschungen. Ich habe viele Bekannte getroffen. Schon am Morgen stellt sich heraus, dass eine ehemalige Klassenkameradin von mir auch das Radfahren als obligatorische Sportart im Rahmen des Sportunterrichts an der Uni gewählt hat. Wie groß ist mein Erstaunen, als ich sie auf dem Drahtesel sitzen sehe! Das letzte Mal haben wir uns doch in der sechsten Klasse in der Grundschule gesehen!

Darüber hinaus besucht diesen Unterricht auch diese Anglistikstudentin, die mir am ersten Oktober geholfen hat, den Treffpunkt meiner Studienrichtung zu finden. Sie ist zwar verwundert, aber auch zufrieden, als ich ihr erkläre, dass ich letztendlich dank ihres Rates an den richtigen Ort fand. Sie erwidert, dass es ihr so wenigstens einmal im Leben gelungen ist, jemandem zu helfen.

Es ist zwar kaum zu glauben, doch es ist wahr: Als ich nach dem Sportunterricht auf dem Weg nach Hause bin, treffe ich einen anderen Kameraden aus der Grundschule. Und er geht gerade in entgegengesetzter Richtung – zum Sportunterricht! So ein Zufall! Wir sprechen ein bisschen, weil er noch viel Zeit vor dem Volleyballspielen hat.
Ich muss es aufschreiben, mein liebes Tagebuch, denn ich bin sehr glücklich, dass ich meine Bekannten wiedergetroffen habe. Mit einem Schlag wird eine ganze Reihe Erinnerungen ausgelöst: Tagesablauf, Schulausflüge, Spiele in und außerhalb der Schule… Ich sehe das alles in meinem Gedächtnis, als ob es nicht schon vor sieben oder mehr Jahren, sondern gestern geschehen wäre.

Ich denke, dass an diesem Tag nichts Interessantes mehr passieren kann. Doch ich täusche mich. Etwas später werde ich von meiner Mutter gebeten, Einkäufe zu erledigen. Und im Geschäft treffe ich niemand anderen als Peter, meinen  Klassenkameraden aus der Oberschule. Wir unterhalten uns lange über verschiedene Themen, u.a. natürlich über das Studium, die Sommerferien, unsere Zukunftspläne und… die Politik. Er studiert ja nicht umsonst Politologie. 🙂

Meine Mutter ist ein bisschen verärgert darüber, dass ich so lange gebraucht habe, bis ich zurückkomme.

Am Abend lasse ich den ganzen Tag Revue passieren. Ich muss feststellen, dass das Leben wirklich unvorhersehbar ist. Ist es nicht verwunderlich, dass ich alle an diesem 16. Oktober traf? Das war wirklich ein einzigartiger Tag!

 

Dienstag, 3. November 2009

Das Besondere an diesem Tag war, dass ich in der Mensa einen Spanier kennen gelernt habe. Eigentlich war es eine ganze Gruppe von Spaniern, aber von Anfang an habe ich nur…
Es passierte während der Pause zwischen zwei Vorlesungen: Ich gehe zur Mensa an der Uni, um ein Mittagessen zu verzehren. Um diese Zeit gibt es dort wie immer sehr viele Leute. Nach einer Weile höre ich, dass die vor mir in der Schlange stehenden Leute Spanisch sprechen. Ich höre ihren Aussagen aufmerksam zu, aber ich kann nichts außer ein paar einzelnen Wörtern verstehen. „Tja, ich muss noch viel lernen”, denke ich. Es sind drei Personen: zwei Jungen und ein Mädchen. Vielleicht klingt es dumm, aber sie sehen wirklich wie echte Spanier aus, schwarze Haare, braune Haut…
In der Schlange geht es langsam voran und ich spitze meine Ohren weiterhin. In einem gewissen Moment hören sie auf zu reden. Dann kann ich mich nicht mehr bremsen und ich frage den neben mir stehenden Spanier: „¿Qué estudias?” (Was studierst du?). Er scheint zufrieden zu sein, dass er seine Muttersprache aus dem Mund eines Nicht-Spaniers hört. Er antwortet: „Derecho” (Jura) und sagt halblaut  „Prawo” (Das heiβt Jura auf Polnisch). Wir stellen uns vor. Ich erfahre, dass Rafael Jura auf Englisch an der Uni in Lublin studiert. Als ich ihm erkläre, dass ich nur wenig Spanisch spreche und dass ich Englisch und Deutsch studiere, fangen wir an, in der Sprache von Shakespeare zu reden. Er sagt, dass er Polnisch lerne, aber es ihm sehr schwer falle, denn es gebe in der polnischen Sprache viele Regeln und noch mehr Ausnahmen.
Nach einiger Zeit müssen wir leider das Gespräch unterbrechen, weil wir an der Reihe sind, das Mittagessen zu bestellen. Er wünscht mir „Guten Appetit“ und geht mit seinen Begleitern zum Tisch. Ich hingegen werde von meiner Kollegin aus der Oberschule gerufen, um mit ihr am selben Tisch zu sitzen.

An diesem Tag bin ich überglücklich. Das Lächeln in meinem Gesicht vergeht nicht. Ich habe ja mit einem echten Spanier Spanisch gesprochen! Außerdem habe ich mich an einige Wörter erinnert, obwohl ich seit über drei Jahren keinen Kontakt zu dieser Sprache hatte.
Etwas Wichtiges muss noch bemerkt werden. Immer wenn Rafael mir eine Frage auf Englisch oder Spanisch gestellt hatte, antwortete ich ihm automatisch auf Deutsch, und erst dann übersetzte ich meine Worte in die andere Sprache! Es ist sicherlich nicht ohne Bedeutung, dass dieses Gespräch nach einer über drei Stunden auf Deutsch gehaltenen Vorlesung stattfand. Nachdem ich einige Stunden lang nur Deutsch gehört hatte, formten sich meine Aussagen in meinem Gehirn automatisch und unwillkürlich auf Deutsch, unabhängig davon, in welcher Sprache die Frage gestellt wurde! Das regt doch zum Nachdenken an, oder?

DLS_Maria_Lublin_PolenMaria Kulik kommt aus der Stadt Lublin in Polen. Dort studiert sie an der Universität Angewandte Linguistik.

Texte von Maria Kulik aus Polen
Deutschlerner schreiben: Schule und Studium
Deutschlerner schreiben: Tagebuch

Deutschlerner_schreiben_1000x1000     C1_Deutsch_lernen_Apprendre_allemand_C1

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert