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Das Buch im Buch – Die unendliche Geschichte

Buch im Buch

Das Buch im Buch – Die unendliche Geschichte

von Miriam Turri aus Villafranca d’Asti, Italien

Wer gern liest, ist niemals allein. Stimmt es? Das Lesen ist eine zauberhafte Tätigkeit, die unsere Sinne weckt, unser Gehirn erleuchtet und unsere Seele erfüllt.
Wenn wir lesen, tauchen wir in eine andere Welt ein, eine Welt, in der wir das Leben anderer leben und die Gefühle der Protagonisten fühlen. Alles ist genauso tief und real, wie unsere wirklichen Gefühle und Erlebnisse. Die Geschichte, in die wir eingetaucht sind, begeistert uns oder macht uns ängstlich, wütend oder zufrieden, sie gibt uns Frieden und Hoffnung oder lässt uns erschrecken. Eines ist aber sicher: Was wir lesen, berührt uns bis in unser tiefstes Innere.

In den 80er Jahren war ein Film sehr erfolgreich, bei dem es sich um die Verfilmung eines ebenfalls erfolgreichen Romans handelte: „Die unendliche Geschichte”. Die Geschichte handelt von einem Jungen, der seine Mutter verloren hat und von seinen Klassenkameraden schikaniert wird. An einem Tag, an dem er vor ihnen in einen Buchladen flüchtet, sieht er dort ein merkwürdiges Buch, das der Buchhändler sehr schätzt. Der Junge stiehlt dieses Buch, das sein Leben verändern wird. In diesem Buch wird die Geschichte vom Reich „Fantasia” erzählt, das von einer baldigen Vernichtung bedroht wird. Die kindliche Kaiserin droht mit ihrem Reich unterzugehen und bittet daher den jungen Krieger Atreju um Hilfe.

Ich liebe die Worte, die sie zu dem Krieger am Ende des Romans (und des Filmes, aus dem ich der Dialog abgeschrieben habe) sagt, als dieser glaubt, dass alles verloren sei:

Kindliche Kaiserin: Atreju. Warum bist du so traurig?
Atreju: Ich habe versagt, Gebieterin.
Kindliche Kaiserin: Oh, nein. Du hast nicht versagt. Du hast ihn doch mitgebracht.
Atreju: Wen meinst du?
Kindliche Kaiserin: Das Erdenkind. Den Jungen, der uns alle retten kann.
Atreju: Wusstest du von dem Erdenkind?
Kindliche Kaiserin: Natürlich wusste ich. Ich habe alles gewusst.
Atreju: Mein Pferd ist tot, ich wäre fast ertrunken. Das Nichts hätte mich beinahe ausgelöscht. Wofür? Du hast alles gewusst!
Kindliche Kaiserin: Wir mussten mit dem Erdenkind in Verbindung treten.
Atreju: Ich hatte keine Verbindung zu einem Erdenkind.
Kindliche Kaiserin: Doch, und wie. Er hat alles mit dir erlebt. Gemeinsam mit dir hat er alles durchgestanden. Und jetzt ist er hierhergekommen, mit dir. Er ist ganz nah bei uns. Er hört uns zu, er hört jedes Wort, das wir sagen.
Atreju: Was? Wo ist er? Wenn er uns so nah ist, warum sehen wir ihn nicht?
Kindliche Kaiserin: Er kann sich nicht vorstellen, dass er in der Unendlichen Geschichte ist.
Atreju: Die Unendliche Geschichte? Was ist das?
Kindliche Kaiserin: So wie er all deine Abenteuer miterlebt, erleben andere seine mit. Sie waren bei ihm, als er vor den Jungs in den Buchladen flüchtete. Sie waren bei ihm, als er das Buch mit dem Auryn-Symbol auf dem Umschlag sah, das Buch, in dem er seine Geschichte liest. In diesem Augenblick.

Das Buch, in dem er seine Geschichte liest. Jedes Buch erzählt unsere Geschichte, sei es eine Abenteuer- oder eine Liebesgeschichte, ein Drama oder ein Epos.
Wenn ich lese, existiert für meine Sinne die umliegende Welt nicht mehr, denn ich bin ganz in die andere Welt eingetaucht. Ich höre kaum, was um mich passiert, wenn jemand mich ruft, wenn das Licht im Zimmer dunkler oder es mir kälter wird.
Wenn ich ein Buch schließe, das mir sehr gefallen hat, kommt es mir vor, als ob ich mich von engsten Freunden verabschiede. Und die Figuren des Buches bleiben in meinem Herzen. Ich erinnere mich an sie mit zärtlichen Gefühlen und denke darüber nach, wie sie es geschafft haben, ihre Herausforderung zu bestehen, sodass auch ich meine meistern kann.

Ich glaube, das Lesen ist wunderschön, spannend und unverzichtbar. Aus Büchern lernt man denken, lieben, urteilen, schätzen und verstehen. Dank der Geschichten, die in Büchern niedergeschrieben sind, können wir Gedanken und Gefühle von Menschen kennenlernen, die ganz andere Situationen erleben als wir. Wir lesen die Gedanken und die Taten, die Absichten und die Hoffnungen von Menschen, die anders sind als wir, und beobachten das Ereignis, das im Buch erzählt wird, aus mehreren Blickwinkeln. Dieser Prozess beim Lesen entwickelt in dem Leser die Fähigkeit, sich in jemanden hineinzuversetzen. Sich in jemanden hineinversetzen zu können ist die Grundlage der Empathie, die uns unseren Mitmenschen annähert. Und an Empathie und Verständnis mangelt es in unserer Welt heutzutage sehr. Darum meine ich, dass das Lesen von Romanen eine enorme Bedeutung hat, nicht nur für junge Menschen, die gerade lernen, die Welt zu betrachten, sondern auch für Erwachsene, die zu oft vergessen, was sie in ihre Jugendzeit gelernt haben.

 

Miriam Turri lebt in dem Dorf Villafranca D’Asti im Piemont, eine Region im Nordwesten Italiens in der Nähe von Turin. Sie hat ganz allein Deutsch gelernt, mit Büchern und im Internet.

Ein Text aus der Reihe Deutschlerner aus aller Welt schreiben.

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2 Kommentare

  1. Daria sagt

    Sehr lange her, dass ich solche schöne Texte gelesen habe. Danke Miriam! Danke DeutschLernerBlog!

    • Miriam Turri sagt

      Danke Daria. Entschuldige, ich habe nur jetzt dein Kommentar gelesen. Du bist sehr nett.

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