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18 Tage in Ägypten – die ägyptische Revolution – von Hamada aus Ägypten

18 Tage in Ägypten

18 Tage in Ägypten / die ägyptische Revolution

Teil 1: Beginn einer Revolution

Ziele der Proteste – Facebook-Jugend – im Protest vereint – Freitag des Zorns – Gewalt gegen die Demonstranten – die Muslimbruderschaft

Ohne Zweifel gilt die Revolution, die am 25. Januar begann, als Meilenstein in der Geschichte Ägyptens. Die Zeit der Gewalt, Manipulation, Vetternwirtschaft und Fälschung ist endlich zu Ende gegangen. Ägypten beginnt momentan eine neue Phase in seiner Geschichte und wird eine Regierung stellen, die auf Meinungsfreiheit und Demokratie beruht.
Es war eine Revolution für die Freiheit, die Würde und das Recht eines Volkes, dem 30 Jahre lang Unrecht angetan wurde und das man beraubt hat. Diese bedeutende Revolution ist zweifellos der ganzen Welt aufgefallen, denn sie war eine ganz friedliche Revolution, trotz aller Brutalität und der Greueltaten der Polizei, denen das Volk sich während der Demonstrationen entgegengestellt hat.

Facebook-Jugend – Jugend des 25. Januar

Die Revolution hat mit einer Gruppe von Jugendlichen begonnen, die man heute „Facebook-Jugend“ oder „Jugend des 25. Januar“ nennt. Diese Jugendlichen hatten sich zunächst dazu entschieden, nur die Polizei am Tag der Polizei zu stören, aus Rache für das, was diese blutrünstige Polizei an diesem harmlosen Volk verübt hatte, wie z.B die Greueltaten, Folterungen der Bürger in den Polizeistationen und der Missbrauch ihrer Macht gegen das Volk.
In der Tat ging es dabei nicht gegen die Polizei als Sicherheitskraft, sondern gegen den Gebrauch den das Regime von der Polizei machte, um Wahlen zu fälschen und die Gegner der Regierungspartei verstummen zu lassen. Auch sollten die Auswüchse der Korruption unter Funktionären entlarvt werden.

Im Protest vereint

Diese Revolution hatte keinen bekannten oder bestimmten Führer, weder die Muslimbruderschaft noch eine andere Partei. Es war vielmehr das ganze ägyptische Volk: Muslime und Christen, Jugendliche und Ältere, Männer und Frauen, Ungebildete und Intellektuelle, Arme und Reiche.

Zu Beginn der Protestbewegung am 25. Januar habe ich nicht offen daran teilgenommen, weil ich damals meine Prüfungen gemacht habe und auch gedacht hatte, dass diese Demonstration wie jede vorherige Demonstration friedlich oder mit Gewalt von der Polizei beendet werden würde.

Freitag des Zorns

Am Donnerstag, dem 27. Januar, habe ich meine Prüfungen beendet und bin noch am selben Tag von Minia, wo sich meine Universität befindet, in meine Heimatstadt Abo Tig, südlich von Assiut in Oberägypten gefahren. Am folgenden Tag war der Freitag, den man „Freitag des Zorns“ genannt hat. Nach dem Mittagsgebet standen viele Soldaten und Polizisten vor der Moschee in meinem Viertel, aus Frucht vor dem Ausbruch der Proteste, weil hunderte Menschen am selben Tag in zahlreichen ägyptischen Städten demonstrierten, um die großen Demonstrationen in Kairo, Alexandria und Suez zu unterstützen.

Gewalt gegen die Demonstranten

Danach bin ich nach Hause gegangen und habe mit meiner Familie die Nachrichten über die Demonstrationen in einigen Fernsehsendern gesehen. Ich konnte nicht glauben, was ich da mit meinen Augen im Fernsehen sehen musste:
Tausende Demonstranten wurden auf der Kasr el Nil-Brücke und auf dem Tahrir-Platz von den Sicherheitskräften der Polizei mit großen Stöcken geschlagen, erschossen, mit Tränengas- und Rauchbomben  beworfen und von den großen Panzerwagen überrollt, so als ob diese Menschen keine Ägypter, sondern unsere Feinde wären.
Kurz darauf haben wir ein großes Grollen auf der Straße gehört. Es kam von einer Massendemonstration direkt bei uns um die Ecke. Hunderte Menschen sind auf die Straßen unserer Stadt geströmt und haben gegen die Willkür des Regimes skandiert und laut und einstimmig gerufen: „Das Volk will das Regime stürzen“. Ich habe mich dieser Demonstration, die die Muslimbrüder, wie alle Demonstrationen in ganz Ägypten, zum großen Teil unterstützt haben, sofort angeschlossen.

Einige wütende Menschen, die nicht zu den Muslimbrüdern gehören, haben den Sitz der Regierungspartei NDP völlig zerstört und die Polizei hat mühsam versucht, diese verärgerten Menschen daran zu hindern, aber es war vergeblich.

Die Muslimbruderschaft

In diesem Zusammenhang möchte ich deutlich machen, dass die Medien des Mubarak-Regimes vor der ganzen Welt ein ganz schlechtes Bild von der Muslimbruderschaft gezeichnet haben, weil diese Muslimbrüder schon immer zu Veränderungen aufgerufen haben. Die Muslimbruderschaft ist nicht die einzige Oppositionsfront in Ägypten, vielmehr gibt es zahlreiche Oppositionparteien wie z.B Wafd, Gabha, el Tagamo, el Naserree und andere, die ihren Mitgliedern nicht  verboten haben, an dieser Revolution teilzunehmen.

Im Verlauf der letzten 30 Jahre hat Mubarak geschickt gegen seine politischen Gegner gespielt. Er hat nämlich seine Toleranz gegenüber den wirkungslosen kleinen Demonstrationen der liberalen Intellektuellen gezeigt, ganz so, als ob er ein demokratischer und die Meinungsfreiheit unterstützender Präsident  wäre. Gleichzeitig hat er jedoch dem Volk die Muslimbrüder als Teufel oder radikale Islamisten dargestellt, um so seinen Polizeistaat zu rechtfertigen. Es ist ihm noch gelungen,  die christlichen Minderheiten glauben zu machen, dass die Muslimbrüder, wenn sie an die Macht kämen, die koptischen Christen aus Ägypten vertreiben könnten.
Im Gegensatz dazu glaube ich, dass die Muslimbrüder die Macht in Ägypten  nicht ergreifen wollen, dabei berufe ich mich auf die Erklärung ihres Generalleiters, dass sie nur Veränderungen fordern. Der eindeutige Beweis dafür ist, dass niemand von ihnen sich zur Präsidentschaftswahl stellen wird. Darüber hinaus haben die Revolutionäre selbst auf dem Tahrir-Platz die Wahrheit über die Muslimbrüder  entdeckt, nämlich, dass diese gebildete Persönlichkeiten sind und nur die Reform des Landes verlangen. Außerdem hat Dr. Mohammed El Baradei, der ehemalige Direktor der internationalen Atomenergiebehörde und Begründer der „Nationalversammlung für die Veränderung“, die Revolution und deren Jugend begrüßt und sich dazu entschlossen, zu diesen Demonstrationen persönlich beizutragen.

Teil 2: Die Revolution geht weiter

Ausgangssperre – Mubaraks erste Ansprache – eine Katastrophe – nachts in Kairo und anderen ägyptischen Städten – Mubaraks zweite Ansprache – die Schlacht der Kamele

Ausgangssperre

Die dumme Regierung hat zu Beginn der Revolution die Internetverbindungen im Land vollständig gesperrt, um die Jugendlichen voneinander und von der Welt zu trennen und so zu verhindern, dass die Jugendlichen die Attentate ihrer Polizei auf den internationalen Webseiten publikmachen. Obendrein hat Mubarak als der Militärherrscher des Landes eine extrem lange Ausgangssperre angeordnet. In meiner Stadt hatte diese Ausgangssperre keinen großen Einfluss auf das normale Leben. Es war im Vergleich zu anderen ägyptischen Städten ziemlich ruhig.

Mubaraks erste Ansprache

In der Nacht haben wir, ich und meine Familie, der ersten Ansprache Mubaraks zugehört, in der es hieß, dass er die Regierung entlassen hat. Aber wir waren immer noch verärgert, denn wir wollten dieses 30-jährige Regime stürzen.

Eine Katastrophe

Am Samstag ist es dann meines Erachtens zur Katastrophe gekommen: Alle rechtmäßig verurteilten Gefangenen konnten aus den drei größten Gefängnissen Ägyptens entkommen und begannen damit, in Häuser, Autos und Geschäfte einzubrechen, zu stehlen und den Leuten Angst zu machen. Dies war möglich, weil die verdammte Polizei sich bereits vor der vorangegangenen Nacht zurückgezogen hatte und damit den Schlägern und Gefangenen das Feld überlassen hat. Bis heute hat niemand eine Ahnung davon, wer diese Gefangenen freigelassen hat. Aber es finden wegen dieser verwerflichen Tat Ermittlungen statt.

Nachts in Kairo und anderen ägyptischen Städten

Mein Onkel, der in Kairo lebt, und seine Nachbarn haben in der Nacht bewaffnet mit Stöcken und Messern auf der Straße zusammengestanden, um ihre Familien, Häuser und ihr ganzes Viertel vor dieser drohenden Gefahr zu schützen. Genauso taten es viele andere Bürger in allen Regionen Ägyptens. Bei uns in Oberägypten war es nicht so wie in Kairo oder Unterägypten, trotzdem standen in einigen Gebieten Menschen mit Waffen zusammen, um sich und die anderen zu beschützen. Die ägyptischen jungen Männer haben sich in dieser heiklen Situation wie echte Männer benommen, für Disziplin im Straßenverkehr gesorgt, die Straßen sauber gemacht und die Rechtsbrecher und Schläger an die Armee übergeben, die nach dem Abzug der Polizei gekommen ist, um für Ruhe und Sicherheit im Land zu sorgen. Wie groß und verantwortungsbewusst Ägyptens Jugend doch ist!!!
Am Sonntag hat Mubarak Omar Suleiman als Vizepräsident eingesetzt und Ahmed Shafeek als Ministerpäsident beauftragt, die neue Regierung zu bilden. Die Revolutionäre haben sich trotzdem noch mehr empört und an ihrer Forderung festgehalten, dass Mubarak aufgeben und das Land verlassen muss.

Mubaraks zweite Ansprache

Zwei Tage später hat Mubarak die zweite provozierende Rede an sein zorniges Volk gehalten und explizit erklärt, dass weder er noch sein Sohn Gamal  beabsichtigten, sich zur kommenden Präsidentschaftswahl als Kandidaten zu stellen, er allerdings bis zum Ende seiner Amtszeit bleiben werde und weiter in Ägypten leben und dort auch sterben wolle.
Seine Rede hat mich sehr provoziert und mich dazu veranlasst, nachdem das Internet wieder zugänglich war, auf Facebook Mubarak und seine verdammte Politik zu verurteilen und darüber zu schimpfen.
Ich vertrete die Meinung, dass das ägyptische Volk manchmal leider ein sympathisches und gutmütiges Volk ist, denn Mubarak schaffte es einfach mit seiner zweiten trügerischen Ansprache, die Herzen einiger schwacher Ägypter für sich zu gewinnen.

Die Schlacht der Kamele

Mubarak hatte auch seine verfluchten Anhänger und Schergen, die Schlägern Geld gegeben hatten, damit diese sich am Mittwoch auf Kamelen und  Pferden unter die unschuldigen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz mischten, um die Demonstranten zu schlagen oder zu töten.
Mubarak hat damit sonnenklar das ägyptische Volk in zwei Fronten geteilt. Einige haben daraufhin seine Fotos mit Küssen bedeckt, während andere seine Fotos in Stücke gerissen haben.  Beide, Gegner und Anhänger, haben sich blutig mit Pflastersteinen bekämpft. Die Anhänger Mubaraks haben jedoch in ihrem Kampf auch Schlachtmesser und andere Waffen verwendet. In dieser Zeit hatte ich wirklich das Gefühl, dass es erstmals in Ägypten zum Bürgerkrieg gekommen ist. Tausende Menschen wurden dabei verletzt und andere Hunderte wurden zu Todesopfern.
Meine Mutter hat viel geweint, als sie die Fotos der Verletzten und der Märtyrer der Revolution gesehen hat, die von der Polizei oder von den Schlägern der Regierungspartei ums Leben gebracht worden sind.  Man nennt dieses Ereignis „die Schlacht der Kamele” und sagt voraus, dass unsere Kinder in der Zukunft dieses historische Ereignis als Teil der Revolution in den Schulen lernen werden.
In den folgenden Tagen wurden diese Angriffe verurteilt und Politiker und Präsidenten aller Länder haben endlich damit begonnen, Druck auf Mubarak auszuüben, der ihn zur sofortigen Aufgabe bewegen sollte.

Teil 3: Eine neue Zukunft

Mubaraks dritte Ansprache – Freitag der Herausforderung – Muslime und Christen im Protest vereint – eine unbeschreibliche Freude

Jetzt zur letzten Woche der Revolution, in der Ägypten jeden Samstag, Dienstag und Freitag Demonstrationen von Millionen Menschen erlebt hat.

Mubaraks dritte Ansprache

Am Donnerstag, dem 10. Februar, hat Mubarak seine dritte und letzte Ansprache in einem sehr schrillen Ton gehalten. Diese dritte Ansprache halte ich für die schlimmste Ansprache, die ein Präsident vor seinem Volk halten kann. Darin hieß es, dass er weiter an seinem Amt festhalte, trotz all dieser Toten, Verletzten und trotz dieser auf dem Tahrir-Platz und überall in den restlichen ägyptischen Provinzen revolutionierenden Menschen. Und er spendete dem Volk Trost für seine Märtyrer in der „Schlacht der Kamele“ und der Zeit seit dem 25. Januar, als wären er und seine Anhänger nicht die Hintermänner dieser Anschläge gewesen.
Am selben Tag, vor Mubaraks dritter Ansprache, hat auch der Militärrat  eine Sitzung ohne Mubaraks Anwesenheit abgehalten. Dieser Militärrat hat seine Achtung für die Forderungen des Volkes geäußert.

Freitag der Herausforderung – Muslime und Christen im Protest vereint

Der nächste Tag war der „Freitag der Herausforderung“, wie man ihn genannt hat. Während des Mittagsgebets, das zur selben Zeit wie die Messe in den koptischen Kirchen abgehalten worden ist, haben alle muslimischen Prediger in den Moscheen und alle Priester in den koptischen Kirchen unseren Gott um den Sieg der Revolution gebeten und diesen korrupten Präsidenten verflucht. Das ganze ägyptische Volk ist auf die Straßen geströmt.

Bei uns in Assiut haben sich über eine halbe Million Demonstranten vor dem Rathaus der Provinz und auf den großen Plätzen versammelt und laut skandiert „Revolution Revolution, Revolution in ganz Ägypten. Revolution auf allen Straßen Ägyptens“.
Einige Demonstranten in Kairo haben den Präsidentenpalast aufgesucht. In diesem Moment habe ich mich wohlgefühlt, weil aus der Geschichte bekannt ist, dass der Präsident sich, wenn die Demonstranten den Präsidentenpalast umstellen, sicher dem Volk und dessen Willen unterwerfen wird.

Eine unbeschreibliche Freude

Am Abend hat Omar Suleiman, der Vizepräsident, im ägyptischen Fernsehen endlich bekanntgegeben, dass Mubarak endgültig aufgegeben hat. Sobald das Volk Wind von der Nachricht bekommen hatte, hat sich der Ärger der Menschen in eine einmalige laute Freude gewandelt.
Ich weiß nicht, wie ich euch die Freude der Menschen beschreiben kann. Es war die Freude der Freiheit und des gemeinsamen Sieges. Die Ägypter hatten sich vorher gefühlt, als ob ihnen ihr Land gestohlen war. Und erst jetzt haben sie es wieder zurückbekommen. Alle Leute haben sich auf den Straßen umarmt, gesungen und getanzt, als ob ihre Nationalmannschaft die Fußball-Weltmeisterschaft gewonnen hätte. Der Sieg der Revolution ist allerdings besser als hundert Weltmeisterschaften.

18 Tage in Ägypten

Hamada (links) mit Freunden

Meine Freunde und ich haben oft „Allah ist groß“ und „Lob gehört Allah“ gesagt, vor Freude getanzt und Fotos als Erinnerung an diese Zeit gemacht. In diesem Moment habe ich gespürt, dass das Blut unserer Märtyrer und Verletzten nicht vergeblich geflossen ist. Sie sind die wirklichen Helden dieser segensreichen Revolution. Sie haben sich für die Freiheit dieses großen Volkes  geopfert, deshalb wird Ägypten und dessen Volk diese Helden niemals vergessen, und ihre Namen werden mit goldenen Buchstaben in der ägyptischen Geschichte niedergeschrieben.

Am Ende möchte ich gern meinem kleinen Bruder Mohammad für seine Hilfe und Hinweise danken, weil er mir all die Ereignisse und Situationen der Revolution genau ins Gedächtnis gerufen hat.

DLS_Hamada_01Hamada studiert Deutsch an der Fakultät für Sprachen der Universität in Minia, Ägypten. Er lebt in einer Stadt bei Assiut in Oberägypten, wo er die Revolution miterlebt hat.

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